Dienstag, 29. Mai 2012

Entfernung macht Heimat

Es ist erdrückend warm. Ich liege wach zwischen zerwühlten Laken. Ein Blick auf die Uhr: 2:37 Uhr. Ich lausche in die Nacht hinaus, einem Konzert von quakenden Fröschen und zirpenden Zikaden. Ich drehe mich hin und her, aber es ist und bleibt einfach zu warm. Ich stehe also auf, trete ans offene Fenster. Immerhin - ein lauer Wind weht.

Ich verlasse mein Zimmer, das noch fast genauso aussieht wie vor fünf Jahren, als ich diesen Teil meines Lebens hinter mir gelassen habe. Die Tür knarzt ein wenig, als ich auf den Flur im ersten Stock trete. Der alte Boden und auch die Treppenstufen stehen dem in nichts nach. Aus Gewohnheit weiß ich wohin ich meine Schritte setzen muss um den Geräuschpegel möglichst gering zu halten. Ich will die andern nicht wecken, falls die im Gegensatz zu mir das Glück haben heute Nacht Schlaf zu finden.

Wie sollte es anders sein, auch die Haustür zum Hof quietscht leise vor sich hin als ich sie vorsichtig öffne und barfuß auf die angenehm kühle Steintreppe trete. Das Quaken und Zirpen erfüllt die Nacht. Nicht ein einziges von Menschen verursachtes Geräusch, nicht eine einzige irdische Lichtquelle.

Ich setze mich auf die kleine Steintreppe und warte. Es dauert nicht lange und ich höre es um die Ecke hecheln. Ein schwarzer Schatten kommt auf mich zu und stupst mit einer kalten Nase gegen mein Knie. Ich kraule ihr durch das flauschige Fell hinter den Ohren, während sie rhythmisch weiterhechelt. Selbst dem Hund ist es zu warm. Wir bleiben noch eine Weile zusammen sitzen. Dann stehe ich auf und laufe über den mit Kopfstein gepflasterten Innenhof. Die Nacht ist mondlos und dennoch hell.

Ich erreiche die Wiese hinter der Scheune – das Hecheln immer dicht hinter mir. Der Blick in den Himmel ist unbezahlbar. Mehr Sterne sieht man nirgends. Das Gras ist weich und kitzelt ein wenig an den Füßen. Das Quaken ist hier hinten noch lauter und ab und zu hört man einen der Frösche mit einem sanften Platscher in den Teich springen. Ich lege mich auf die Wiese und starre in den Sternenhimmel. Dieser Moment ist so kostbar. Nicht ein belastender Gedanke im Kopf, nur pure Glückseligkeit, Ursprünglichkeit und Wohlbefinden.

Die Sterne funkeln über mir. Ab und zu streicht eine warme Brise über das Gras. Eine Hand immer im Fell, das warm neben mir liegt, die andere wie die Füße in das hohe Gras vergraben. Ich muss an „Der König der Löwen“ denken und die Stelle als Simba mit seinem Vater im Gras liegt und sie über die Könige der Vergangenheit reden. Ich frage mich, ob es dort oben nicht wirklich irgendetwas gibt, dass auf uns herabschaut, uns beschützt. Wahrscheinlich nicht, aber schön wäre es. Ich denke an meinen Opa. Er fehlt mir. Aber ich denke, er wäre glücklich mich so zufrieden zu sehen.

Egal, wo mein Leben stattfindet. Hier ist immer zu Hause.



Dienstag, 1. Mai 2012

Auszeit


Ich habe mich kaum je unter den Menschen so fremd gefühlt als gegenwärtig, oder ist es eine Täuschung durch Vergessen? Das Schlimmste ist, dass nirgends etwas ist, mit dem man sich identifizieren kann. Alles brutal und verlogen. 
- Albert Einstein - 

Ich musste mal raus - einfach weg von allem. Ich wollte mal wieder nur mit mir selbst sein. Eben ein typischer Mit-sich-selbst-ins-Reine-kommen-Trip. Und es hat echt funktioniert, obwohl ich wirklich skeptisch war. Ich habe nicht mehr das Gefühl mir mit Jekyll und Hyde einen Körper teilen zu müssen, bin wesentlich entspannter. Ich denke immer noch viel über Dinge nach – das wird sich wohl auch nie ändern – aber ich denke sie nicht mehr kaputt. Einfach auch, weil ich während dieser Auszeit mit einigen Dingen, die mich sonst laufend beschäftigen, gar nicht konfrontiert wurde.

Ich weiß nicht, wie lange dieser Zustand anhalten wird, ob er überhaupt anhalten wird oder ob das Kartenhaus, das ich mir mühsam aufgebaut habe, gleich wieder in sich zusammenfallen wird, wenn ich zurückkomme. Aber wenn es so ist, weiß ich wenigstens, wie ich es wieder geradebiegen kann. Ich weiß jetzt, dass es einen Panik-Schalter gibt, den ich im Notfall einfach nur umlegen muss. Das ist irgendwie beruhigend. Mir egal, ob das nach Weglaufen aussieht. Es ist endlich etwas, das hilft.

Dass der Sommer wieder da ist, ist zugegebener Maßen der perfekte Katalysator. Es ist eben einfach sich halbwegs sorgenfrei zu fühlen, wenn die Welt um dich herum grünt und blüht und die Sonne alles wohlig warm macht. Da bekommt man fast schon von selbst gute Laune.

Ich mache mich nicht mehr verrückt – jedenfalls nicht verrückter als ich es eh bin – sondern lasse die Dinge jetzt einfach auf mich zukommen ohne mir vorher alle möglichen und unmöglichen Varianten wie es ausgehen könnte durch den Kopf gehen zu lassen. Die Rush Hour ist endlich dem Low Traffic gewichen. Das ist sehr entspannend für die Synapsen, aber auch allgemein für Körper und Geist.

Eine etwas überraschende Erkenntnis hatte ich dann aber doch: Trotz des bewussten Rückzugs aus meinem sozialen Umfeld, zeigte sich gerade dann, wer wirklich dazu gehört. Ich habe so oft wie lange nicht mehr mit meinen besten Freunden telefoniert, habe mich öfter mit meinem besten Freund und meiner Cousine, die nur 10 Minuten Straßenbahnfahrt von mir entfernt wohnt, getroffen als wir uns manchmal in einem Vierteljahr sehen. Manchmal muss man vielleicht erst gehen um wieder richtig da zu sein.