Dienstag, 12. Juli 2011

Wolkenbruch


Manchmal wäre ich gern eine Wolke, die friedlich und unbeschwert am Himmel entlang zieht. Der Sonne so nah und dem Boden der Tatsachen so fern. Aber ich bin keine Wolke. Ich bin, wer ich bin und ich kann niemand anders sein. Und so gut haben sie es da oben dann ja auch wieder nicht. Sie bestehen aus Wassertröpfchen und Eiskristallen und in der Höhe, in der sie da rumlungern, muss ihnen tierisch kalt sein. Sie können nur dahin, wohin der Wind sie treibt. Gegen den Strom gibt es dort oben nicht.

Trotzdem, wie gern würde man einfach mal die Haut mit jemandem tauschen? Nur für eine kurze Zeit jemand anders sein, jemand Besonderes. Es gibt so viel, das wir begehren und erstreben, dass wir nicht mal mit dem zufrieden sein können oder wollen, was wir haben. Wissen das Besondere, das wir an uns haben womöglich nicht einmal zu schätzen bzw. sehen es einfach nicht. Oder wollen es einfach nicht sehen? Typisch Mensch, immer nur am meckern. Wir fokussieren nur auf das, was uns fehlt und wir wollen es haben. Unbedingt. Ich weiß, wovon ich da rede, denn ich erwische mich viel zu oft dabei, sowas zu denken.

Aber es geht einfach nicht. Man kann sich die Haut nicht abziehen wie eine Schlange nur weil man aus ihr heraus gewachsen ist. Unsere Haut wächst nur so schnell mit wie unsere Persönlichkeit wächst  und irgendwann fühlen wir uns vielleicht nicht mehr, wie die kleine hässliche Raupe, die sich mühsam voran schiebt, sondern wir breiten unsere großen schönen Flügel aus und fliegen einfach ins Leben hinein. Nur die Zeit im Kokon, die Zeit während man sich entwickelt, sich selber wahrscheinlich am wenigsten leiden kann und doch irgendwie voran kommt ohne es zu merken, die muss man erst mal überstehen. Doch wenn man das geschafft hat, kann man die Welt erobern und ein einziger Flügelschlag reicht ja bekanntlich schon aus, um am andern Ende der Welt einen Sturm auszulösen... aber wir wollen es ja nicht gleich übertreiben.



Klar, klingt jetzt so als wäre das alles gar nicht so schwer und als müsste man einfach nur die Zeit für sich arbeiten lassen, aber so simpel ist das leider nicht. Man muss durchhalten, auch wenn man am liebsten aufgeben möchte. Man muss sich zusammenreißen, wenn man innerlich in zwei verschiedene Richtungen auseinander driftet. Man muss sich einfach immer weiter vorwärts kämpfen, auch wenn jede Faser im Körper kraftlos und müde ist. Man muss einfach.

Natürlich, nicht jeder schafft es zum Schmetterling zu werden. Manche bleiben ein Leben lang in ihrem Kokon gefangen, andere schaffen es nicht mal bis dahin und verharren ewig im Raupenstadium und einige ganz besondere Fälle – und das meine ich jetzt nicht im positiven Sinn – werden zu dunklen lichtgeilen Motten, die keiner für längere Zeit um sich haben will, weil sie einen mit ihrem hektischen Geflatter total wahnsinnig machen und alles anfressen, was sie kriegen können. Man muss einfach zuversichtlich sein, egal wie hoffnungslos es zeitweise auch scheint. Denn wer sich aufgibt, hat schon verloren.

Hoffnung – dieses hartnäckige Miststück, das auf jeder Party bis zum bitteren Ende bleibt, in irgendeine Ecke kotzt und sich dann aber doch noch ganz schnell verzieht bevor es ans Aufräumen geht – ist das einzige, was uns in den dunkelsten Momenten bleibt und uns Trost spendet. Sie ist das, was uns antreibt, wenn keine andere Motivation mehr vorhanden ist: die Hoffnung auf etwas Besseres, etwas Neues, etwas Schönes, etwas, für das es sich einfach lohnt. Aber im Endeffekt bringt auch sie uns nicht weiter, wenn wir selber nicht bereit sind etwas dafür zu tun. Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied. Wir haben also die Wahl: entweder wir reißen uns den Arsch auf und kommen irgendwie vorwärts oder wir bleiben liegen, starren ein Leben lang die Wolken an und beneiden sie um ihre trügerische Freiheit.

Freitag, 1. Juli 2011

Reisen erweitert den Horizont

Aus gegebenem Anlass heute ein Thema, bei dem wirklich jeder mitreden kann. Oder besser gesagt, ein Thema, über das sich so gut wie niemand nicht nicht-aufregen kann.
Die Rede ist natürlich von niemandem Geringerem als einem der größten deutschen „Servicedienstleister“ - der DB, was ursprünglich mal für Deutsche Bahn stand. Mittlerweile werden in diese zwei großen roten Buchstaben aber auch liebevolle Kosennamen, wie z.B. Drecksbahn – mein persönlicher Favorit – interpretiert. Dass dieser Name nicht ganz an den Haaren herbeigezogen ist, wurde mir heut wieder einmal wunderbar unter Beweis gestellt.
Ich stehe am Hauptbahnhof und warte auf den Zug nach Hause. Start des Zugs war in einem für mich unausprechbaren Ort in Polen. Ziemlich leer auf dem Gleis, dachte ich zumindest bis eine 50-Mann starke 60+ Gruppe das Gleis stürmte. Wie eine Horde Geier stürzten sie sofort zum Wagenstandanzeiger, um sich dann zwischen Bereich C und D des Gleises breit zu machen, um auch ja einen Sitzplatz abzubekommen. Ich freundete mich in Gedanken schon mit dem mir bereits sehr vertrauten 3. Klasse Comfort-Platz auf dem Gang vor der Toilette an, als dann eine Ansage noch eins drauf setzte: „Wegen verspäteter Übergabe aus dem Ausland, verspätet sich der Eurocity 248 um vorraussichtlich 20 Minuten.“ Super!
Aber auch das brachte mich noch nicht aus der Ruhe. Geduldig stopfte ich mir die Kopfhörer meines zerkratzen iPod Nanos in die Ohren und wartete... und wartete... und wartete. Die Rentnergruppe wurde immer unruhiger und scharte nervös mit ihren Gehhilfen aller Art auf dem Boden herum. Doch dann! Ein Licht am Ende des Tunnels. Es kam näher und näher und... fuhr vorbei. Alles sprang auf und rannte dem Zug hinter her, der dann irgendwo weit hinter Abschnitt F zum stehen kam. Die Senioren – völlig außer Atmen sollte man meinen – fanden in ihren Lungen trotz des spontanen Sprints noch immer die Kraft lauthals zu meckern, was auch erst 20 Minuten später an der nächsten Station (Spandau) wieder abebbte. Ich nehme an, dass das auch nur dem Schaukeln des Zugs zu verdanken war, der die meisten von ihnen einfach in den Schlaf gewogen haben wird.
Beim Einsteigen in den Zug stellte ich schon fest, dass ich in einen Wagon der polnischen Eisenbahngesellschaft geraten bin. Woran ich das merkte? Toilette defekt, kein Licht im Zug (was schon sehr unpraktisch bei der Platzsuche ist, wenn der Zug in Hbf (tief) hält) und – das wohl offensichtlichste Merkmal – polnische Werbung, egal wohin man sah. Wobei... das konnte ich erst erkennen, als wir die Katakomben des Hauptbahnhofs verlassen hatten und das Tageslicht den Wagon erhellte.
Prompt gab’s auch eine völlig unverständliche Ansage des Schaffners in einer Sprache, die sich schon etwas nach Deutsch anhörte, gefolgt von einem furchtbar schlechten und grammatikalisch dermaßen inkorrekten Englisch, wie es nur die Deutsche Bahn in petto hat.
Zwei Reihen hinter mir auf der anderen Seite des Gangs saß ein Mann, der sofort seinen Laptop aufklappte, nachdem er Platz genommen hatte, um danach sein Handy raus zu wühlen und die gesamte Strecke von Berlin bis zu meiner Heimatstadt lautstark zu telefonieren. Das tat er in einem sehr auffälligen Berliner Dialekt, den ich sonst wirklich über alles liebe. Aber er hat’s übertrieben. Wie kann man als Mann denn bitte eineinhalb Stunden am Stück telefonieren? Und um Himmels Willen, welchen Anbieter hat der bloß, dass er in diesem riesigen Funkloch namens Sachsen-Anhalt Empfang hat?
Direkt neben mir saß eine Frau, die ein Buch mit dem Titel „Werde Eins mit deinen Visionen“ laß und der Meinung war, mir dessen Inhalt 1:1 wiedergeben zu müssen. Sieht die denn nicht, dass ich Kopfhörer in den Ohren habe? Ich nickte freundlich und drehte unauffällig den iPod lauter. Ich hörte sie trotzdem... und den Dauertelefonierer. Wieso gab es in diesem Zug denn nicht auch so eine tolle „Psst“ Zone wie in den ICE’s?
Und als ich dachte, schlimmer kann’s nicht mehr werden, fiel mein Blick auf einen Sicherheitshinweis an der Scheibe neben mir. Stark ist der, der auch in den schlimmsten Situationen noch Humor beweist. Ich laß, grinste und mir war klar: so wie die Deutsche Bahn kein Englisch beherrscht, ist die Polnische Bahn der deutschen Sprache nicht mächtig.
In diesem Sinne: „Sänk ju for träweling wis Deutsche Bahn. Goodbye and auf Wiedersehen.“